Lächelnd öffnet sich das Wunder...
Noch einmal ein Weihnachtsfest,
Immer kleiner wird der Rest,
Aber nehm ich so die Summe,
Alles Grade, alles Krumme,
Alles Falsche, alles
Rechte,
Alles Gute, alles Schlechte -
Rechnet sich aus all dem Braus
Doch ein richtig Leben heraus.
Und dies können ist das Beste
Wohl bei diesem Weihnachtsfeste.
Graue Tage, wo die Sonne
sich wie eine blasse Nonne
hat gebärdet sind nun hin.
Blauer Tag steht blau da oben,
eine Welt ist frei erhoben,
Sonn‘ und Sterne blitzen drin.
Alles das begab sich stille,
ohne Lärm, als großer Wille,
der nicht Federlesens macht.
Lächelnd öffnet sich das Wunder,
nicht Raketen und nicht Zunder
braucht’s dazu, nur klare Nacht.
Aus: Kleine Dichtungen, suhrkamp bibliothek, Erstveröffentlichung 1914, Kurt Wolff Verlag
Eine Einladung,
der ich viel zu selten
gefolgt bin.
Auch das ist ein Versäumnis,
das schwerwiegt.
Ausgestreckt unter freiem Himmel,
den Augenblick
mit dem ganzern Körper berührend.
Und zufrieden
mit nichts
als einem Halm im Mund.
Rainer Malkowski (1939-2003),
aus „Die Gedichte“, Wallstein Verlag
Ein Fichtenbaum steht einsam
Im Norden auf kahler Höh'.
Ihn schläfert; mit weißer Decke
Umhüllen ihn Eis und Schnee.
Er träumt von einer Palme,
Die, fern im Morgenland,
Einsam und schweigend trauert
Auf brennernder Felsenwand.
(Februar-Gedicht aus dem Gedichtekalender 2020 von C.H. Beck)
Vermintes Gelände
von Doris Runge
selbst der essplatz
in der küche
ist nicht
krisensicher
jedes wort
jedes lächeln
zündschnur
der kaffee ist
schwarz und bitter
sie köpft
das ei
Aus dem neuen Kalender für 2020. Der 36. Jahrgang des C. H. Beck Gedichtekalenders (Herausgeber: Dirk von Petersdorff; Pinsel-Vignetten von Chris Campe) enthält 24 Gedichte aus der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis heute. Kriterien für die Auswahl sind das literarische Niveau, und es muss eine Wirkung von dem Gedicht ausgehen. "Ein Gedicht mag zur hohen Literatur gehören oder zur Kleinkunst, zum Kabarett; es mag klassisch oder modern sein, bürgerlich comme-il-faut oder alternativ, ernst oder spielerisch, fromm oder unfromm, jedem Kind zugänglich oder einiger Geduld bedürftig – egal: es muss ein gutes Gedicht sein..." Und so versammeln sich hier Jandl, Rilke, Heine, Morgernstern, Keun, Maleko, Wondratschek, Lasker-Schüler, Kunze, Busch. Der schön aufbereitete poetische Jahresbegleiter soll der inneren Stärkung dienen.