Die Welt hört nicht auf zu beginnen
Ulla Hahn: stille trommeln
Neue Gedichte aus zwanzig Jahren, Penguin
Ulla Hahn hat mit ihren vier autobiographischen Hilla-Palm-Romanen große Erfolge erzielt und ein breites Publikum erreicht. Ihre schriftstellerische Karriere begann sie jedoch als Lyrikerin. Ihr erster Gedichtband „Herz über Kopf“ erschien 1981. Und auch zwischen ihren Romanen holte die vielfach preisgekrönte Dichterin „immer wieder Atem“ in ihren Gedichten.
In ihrem neuen Band „stille trommeln“ finden sich bisher unveröffentlichte Gedichte aus den vergangenen zwei Jahrzehnten. „In Gedichten fand ich offenbar schon früh und immer wieder zu den Wörtern an der Quelle, zu Wörtern, die frei sind, ungebunden, sich keinen Regeln fügen müssen, außer den selbst gestellten, vor allem den Regeln von Rhythmus und Klang...,“ schreibt Ulla Hahn in ihrem Nachwort und berichtet von der Entwicklung, der Auseinandersetzung in ihrer Lyrik. „Zuerst standen für mich die Fragen im Mittelpunkt, die mich auch zu meinen autobiographischen Romanen veranlassten: Wer bin ich? Woher komme ich? Wie bin ich zu der geworden, die ich heute bin. Dann wurde das Ich zum Wir... ich begriff: Ich – das ist ein Teil und das Ganze zugleich. Nun galt es, die Weltsicht der Naturwissenschaften zu verstehen...“ und zu der Erkenntnis zu kommen: „Nicht die Krone der Schöpfung sind wir, sondern ein Teil von ihr auf einer Stufe der Evolution.
Ulla Hahns neue Gedichte widmen sich dieser Einsicht, vermitteln Aufbruchstimmung und machen Mut zur Freude am Leben. „Ich möchte Lust machen, Neugier wecken auf diesen neuen Blick: Die Welt hört nicht auf zu beginnen.“
Hier zur Einstimmung, zwei Gedichte aus „stille trommeln“:
Zusammen Weiter Kommen
Was wir nicht haben
empfangen wir
was wir empfangen
können wir geben
Der Regen gibt seine Nässe
der Erde
die Erde gibt dem Regen
ihre Trockenheit
Die Quelle gibt
dem Bach ihr Wasser
Der Bach ergibt sich
dem Flussbett
Was du nicht hast
kann ich dir geben
Was du schon hattest
gibst du mir
Du gabst mir was
ich nicht hatte
Ich gab
was ich zu geben hatte
Ich geb dir die Stille
du gibst mir den Klang
Zusammen machen wir daraus Musik
Du gibst mir Blau
ich geb dir Gelb
Zusammen ergeben wir Grün
Ich säe die Sonne
du säst den Regen
wir ernten zusammen den Regenbogen
Zusammen
machen wir
aus den Unterschieden
etwas Neues Größeres
weiter
Aufmachen
Ein ganz leiser Schrei
macht sich auf den Weg
in die Stille.
Unterwegs trifft er auf eine Silbe
dann auf ein Wort und noch eines
noch eins macht
einen Satz und noch einen
bis der sich endlich traut
dir aus der Seele zu singen
so schön wie du kannst