Achim Amme: Der Amme. Poet, Pop Verlag - Frühe Verse und Tagebuchaufzeichnungen
Achim Amme hat für sein neues Buch Gedichte aus vier Jahrzehnten mit persönlichen Tagebucheintragungen versehen. Die Idee entstand mehr zufällig, als er die Alltags-Notizen von damals im Computer „wiederfand“. Eine gute Idee des Hamburger Multitalents Amme, der sich ständig in wechselnden Rollen bewegt: als Dichter, Kabarettist, Rezitator, Sänger und Schauspieler. Seinen Auftritt beschreibt er - in Versform so:
„Mich entdeckend, mich versteckend
in der Welt der Poesie
Wunden schlagend, Wunden leckend
in Mundharmonie“
Axel Kutsch, Autor mehrerer Lyrikbände und Herausgeber von Gedicht-Anthologien, präzisiert im Vorwort: „Ammes Lyrik zeichnet sich oftmals durch hintergründige Ironie und zupackende Satire aus, die gleichermaßen Gehirn wie Lachmuskeln anregen.“
Hier vier Auszüge. Der Band beginnt mit dem Songtext „Hungrige Augen“, entstanden in den 60er Jahren und endet mit einem furiosen Sonettenkranz aus den 90er Jahren.
HUNGRIGE AUGEN
Stell dir vor, du sitzt auf einer Wolke.
Stell dir vor, du siehst die Menschenmassen unten.
Um Nahrung zu beschaffen,
müssen sie oft grob sein.
Sie erzählen sogar Lügen
mit ihren hungrigen Augen.
Stell dir vor, du schläfst im Himmel.
Stell dir vor, du wirst geweckt von Schreien.
Leute schuften lebenslänglich,
nur um zu überleben.
Sie hassen sogar Lügen
mit ihren hungrigen Augen.
Stell dir vor, du lebst auf einem Stern.
Stell dir vor, du siehst uns von so fern.
Ich denke, du bliebst dort,
um dich zu schützen
vor unsern Lügenmärchen,
vor unseren hungrigen Augen.
(1967)
Tagebuch: 14.1.79
Wärme mich! Meine Stirn ist eine Winterlandschaft, meine
Augen zwei zugefrorene Seen. Mein Herz ist eine Gefriertruhe.
Meine Worte sind Fußstapfen im Schnee. Mir hängen Eiszapfen
in den Gedanken, diese weiße Wüste. Meine Gefühle nehmen
arktische Dimensionen an. Raben umflattern mich wie lästige
Frostbeulen. Ich bin ein Yeti, ein Schneemensch mit einer roten
Karottennase, die schwarz wird in der Kälte und verfault. Bald
kommt die Sonne und leckt an mir herum. Das wäre schön,
wenn ich zerfließe.
DIE SONN’ IST UNTERGANGEN
(nach der Melodie: Der Mond ist aufgegangen)
Die Sonn’ ist untergangen.
In Neonlichtern prangen
Parolen. Austauschbar.
Nie schläft die Stadt. Nie schweigen
die Autos. Und es steigen
Abgase uns in Haut und Haar.
Wie ist die Welt voll Lärmen
und aus Fabrikgedärmen
ergießt sie giftige Fracht.
Verstopft sind Autobahnen.
Wozu noch Zukunft planen –
noch immer ist nicht Schicht im Schacht.
Wacht auf, ihr Schwestern, Brüder!
Wehrt euch, eh eure Glieder
verseucht sind, ’s ist schon spät!
Scheut ihr jetzt Zeit und Mühe
schließt auch verstrahlte Brühe
gleich ein in euer Nachtgebet.
(30.12.78)
Tagebuch: 15.4.99
Achim, ich hatte solche Sehnsucht nach dir, ... ähm ... ruf
doch mal zurück ... ähm ... Sprachlosigkeit, ich hasse es, aber
... ähm ... ich würde mich freuen, wenn du demnächst wieder
mit mir redest. Ciao.
SEHNSUCHT NACH DER SEHNSUCHT
Du sagst, du wärst verrückt nach mir
und noch so Dinge mehr.
Wir wohnen zwar nicht Tür an Tür
doch was wär, wenn’s so wär?
Du sagst, du sehnst dich sehr nach mir.
Das halt ich fürn Gerücht.
Sag nur, was tust du schon dafür?
So leicht täuschst du mich nicht.
Erzähl mir nichts von Sehnsucht.
Komm her, dann glaub ich dir.
Du hast nur Sehnsucht
nach der Sehnsucht –
nicht nach mir.
Du rufst mich an: Du willst mich sehn.
Und das schon ziemlich bald.
Bis heute ist noch nichts geschehn.
Und ich werd drüber alt.
Ich sag: Ich setz mich in den Zug.
Du sagst: Das läßt du bleiben!
Ich sag: Ich werd nicht aus dir klug.
Du sagst: Du kannst mir schreiben.
Erzähl mir nichts von Sehnsucht.
Komm her, dann glaub ich dir.
Du hast nur Sehnsucht
nach der Sehnsucht –
nicht nach mir.
(19.4.99)
Tagebuch: 2.4.93
Es braucht seine Zeit, um zu begreifen, wie lächerlich das
eigene Leben ist. Ich müsste, um mich zu vergewissern, alte
Tagebuchaufzeichnungen durchstöbern oder in einer stillen
Stunde mein Leben vor meinem inneren Auge Revue passieren
lassen. Da würde ich gewiß auf hübsche Einzelheiten stoßen,
wenn sie nicht längst durchs Sieb gefallen sind.
Mein Gedächtnis geht oft sehr gnädig mit mir um, wohl um
mir den Anblick meiner zahllosen Lächerlichkeiten zu ersparen.
Erst beim nachträglichen Durchblättern alter Aufzeichnungen
wird mir das volle Maß der Peinlichkeiten bewußt, obwohl
ich schon beim Schreiben kontrollierend eingegriffen habe.
Mein Verstand hat sich bemüht, meiner Schreibhand die volle Wahrheit
gar nicht erst zukommen zu lassen. Ich muß
mich im Nachhinein bei ihm bedanken für die hervorragende
Filterarbeit, die er bereits während der Niederschrift geleistet
hat. Im Grunde genommen sind es geringfügige Zwischenfälle
gewesen, die die tragische Anzahl von himmelschreienden
Mißgeschicken, aufgereiht, wie auf einer Perlenkette, ergeben.
Ja, ist nicht mein ganzes Leben (von anderen Menschen mag
ich gar nicht reden) so ein einziger Zwischenfall, dessen Komik
mir erst künftig aufgehen wird, also wenn ich nicht mehr bin?
ÜBER ROBERT WALSER
Er ist so hübsch, so nett, so zierlich,
possierlich, voll Humor
und schließlich nur halb so manierlich,
wie’s scheint. Zumindest kommt es mir so vor.
Er hat mehr Seelentiefe als
wohl jeder, den ich kenne.
So einer rettet seinen Hals
nicht, dafür fehlt ihm die Antenne.
Er sprüht vor Weisheit. Geistesblitze
treibt er so en passant
mit Witz und Charme auf steile Spitze,
als tanzte er mit Worten den Cancan.
Er ist im Hochgebirg Ästhet –
leichtfüssig, virtuos.
Wer da wie er spazieren geht,
der hat gewiß was los.
(1.4.93)